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.Er erschrak, doch nach allem, was er gesehen hatte, fehlte ihm die Kraft, traurig zu sein.Als er über den Marktplatz vor dem Rathaus ging, hörte er jemanden seinen Namen rufen.Er drehte sich um und sah Ciccio.Sie stürmten aufeinander zu und riefen laut den Namen des anderen, als lägen Kilometer zwischen ihnen.Sie umarmten sich so fest, dass sie einander beinahe erstickten.»Seit wann bist du hier?«, fragte Ciccio.»Seit einer Stunde, ich bin mit dem Fahrrad gekommen.Und du?«»Seit gestern.Lass uns heute Abend zusammen essen.Dann können wir uns alles erzählen und unser Wiedersehen feiern.«»Gerne.Aber was gibt es denn zu feiern, außer dass wir am Leben sind?«Ciccio war sprachlos.»Aber ist denn heute nicht dein achtzehnter Geburtstag?«Nenè schlug sich an die Stirn.»Stimmt ja! Weißt du, dass ich das völlig vergessen habe? Wohin wollen wir gehen?«»Am besten raus aus der Stadt.Hier ist es zu heiß, und überall riecht man den Tod.Du brauchst dich um nichts zu kümmern.Ich hole dich um acht mit dem Fahrrad ab.«Ciccio hatte recht: Zunächst war es Nenè gar nicht aufgefallen, aber jetzt nahm er den Geruch des Todes deutlich wahr.Bei der großen Hitze verwesten die Leichen unter den Trümmerhaufen schnell.Ciccio kam um acht Uhr.Auf dem Gepäckträger hatte er eine Kiste frische Sardinen, und am Lenker hing ein Beutel mit drei Flaschen Wein.»Nimm du den Wein, ich kann sonst nicht richtig treten.Unterwegs müssen wir noch einen Nonnenziegel für das Feuer finden.«»Das dürfte nicht schwer sein, bei all den zerstörten Häusern.Wohin fahren wir?«»Zur Scala dei Turchi.«Als sie am Fuß der Scala ankamen, war die Sonne schon fast untergegangen.Der Strand war menschenleer, und im Wasser wimmelte es von Kriegs- und Transportschiffen, die die Sicht auf den Horizont versperrten.Eine Weile lagen die beiden im Sand, dann suchte Ciccio ein paar Steine für das Feuer zusammen, während Nenè trockene Zweige sammelte.Am Ufer legten sie die Steine in einen Kreis.Ciccio schichtete ein paar Zweige übereinander, zündete sie an und legte den Nonnenziegel, der inzwischen wieder sauber war, weil Nenè ihn in die Brandung gelegt hatte, mit der Wölbung nach oben darauf.Jetzt mussten sie nur noch warten, bis der Ziegel heiß wurde.Sie entkorkten eine Flasche.Die Nacht war mild, kein Lüftchen regte sich.Nur das leise Geräusch der Dünung war zu hören.»Eigentlich haben wir uns ja nur zwei Wochen nicht gesehen.Aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit«, sagte Ciccio.»Wie ist es dir in Ràghiti ergangen?«»Schlecht.«Und er erzählte ihm, was er in den letzten Tagen erlebt hatte.»Und wie war es in Cammarata?«»Eigentlich gut.Und weißt du was? Ich habe Angela getroffen, deine Cousine.«»Ach, wirklich? Wie geht es ihr?«»Gesundheitlich geht es ihr gut.Aber ihr Mann ist ein elender Hund.Er ist tagsüber fast nie zu Hause und schlägt sich mit Kartenspielen auch die halben Nächte um die Ohren.Doch im Ort sagt man, dass Angela, wenn ihr Mann nicht da ist, Herrenbesuch empfängt.Sie setzt ihm die Hörner auf.Ich habe gehört, dass …«Es war wohl besser, das Thema zu wechseln.»Und was gibt es für Neuigkeiten von der Pension?«»Ich bin am Siebenundzwanzigsten nach Cammarata gefahren, musste aber am vierten Juli für einen Vormittag nach Vigàta.Die Pension war einen Tag zuvor zerbombt worden.Die beiden Jacolinos waren da, Vater und Sohn, und sie weinten.Sie haben mir gesagt, dass Signora Flora und die Mädchen in Sicherheit sind.Sie hatten sich in den Luftschutzraum retten können.«»Und wo sind sie jetzt?«»Ich weiß es nicht.Ist der Ziegel schon heiß?«»Ich glaube, er braucht noch ein bisschen.Ich will dir etwas erzählen, was mir in Ràghiti passiert ist.Aber du darfst es niemandem weitersagen.«»Mein Ehrenwort.«»Der Baron und Siria leben.«Ciccio, der sich ausgestreckt hatte und die Sterne beobachtete, fuhr hoch und stützte sich jetzt auf die Ellbogen.Im Schein des Feuers sah Nenè, wie verblüfft sein Freund war.»Was sagst du da?«Nenè erzählte ihm die ganze Geschichte, und sie prusteten los.»Es ist ja auch möglich, dass …«, fing Ciccio an.Ihm war plötzlich ein Gedanke gekommen.»Was?«»Dass Lulla und Giugiù die gleiche Idee hatten.«»Wieso? Sind sie etwa nicht von ihrer Bootsfahrt zurückgekommen?«»Nein, wir waren die Letzten, die die beiden gesehen haben.Vielleicht sind sie hier an Land gegangen und dann abgehauen.«»Hat man denn das Boot gefunden?«»Nein.Aber das ist ja kein Wunder bei dem Chaos, das da draußen auf dem Meer herrscht …«Wieder mussten sie lachen.Sie hatten gar nicht gemerkt, dass sie die erste Flasche bereits ausgetrunken hatten.Gut gelaunt legten sie die ersten Sardinen auf den glühenden Ziegel, die nach kurzer Zeit gar waren.Schweigend aßen sie.Essen, trinken, der Brandung lauschen, mit dem besten Freund, den man eben wiedergefunden hat: Was gab es Schöneres im Leben?Der Krieg war vorbei, und schon jetzt war er nicht mehr als eine vage Erinnerung, fast als hätte er gar nicht stattgefunden.Vielleicht hatten sie ihn nur geträumt?Mit einem Mal hielten sie inne und blickten sich im Schein des Feuers an.Beide stellten sie sich dieselbe Frage: Wieso schmeckten die Sardinen nach Minze, Zimt und Gewürznelken?Sie hatten sich geirrt.Lulla und Giugiù waren nicht mehr an Land gegangen.Sie waren aufs Meer hinausgefahren, um dort gemeinsam zu sterben.Ciccio widmete sich wieder seiner Sardine.Aber Nenè rührte sich nicht.»Los jetzt, Nenè, nun iss, was können wir schon tun? Außerdem haben die Sardinen ein ausgezeichnetes Aroma.«Gegen drei Uhr morgens kehrten sie in die Stadt zurück.Sie hatten alle Sardinen aufgegessen und die drei Weinflaschen geleert.Immer wieder fielen sie fast von ihren Rädern, weil sie so betrunken waren.Als sie an dem Schutthaufen ankamen, der einmal die Pension Eva gewesen war, stiegen sie ab und setzten sich auf einen der verkohlten Balken.Ciccio zog ein Päckchen amerikanischer Zigaretten heraus und zündete sich eine an.Nach einer Weile sagte Nenè:»Gib mir auch eine.«Und er rauchte die erste Zigarette seines Lebens.Anmerkung des AutorsDieser Roman ist ein erzählerischer Ausflug, den ich kurz vor Vollendung meines achtzigsten Lebensjahres unternommen habe.Die Pension Eva ist kein historischer Roman und kein Kriminalroman.Glücklicherweise kann man dieses Buch nicht genau einordnen.Es liest sich ein bisschen leichter als meine übrigen Romane, und auch der Titel ist anders.Die Pension Eva ist nicht autobiographisch, auch wenn die Hauptfigur den Namen trägt, den ich früher bei meiner Familie und meinen Freunden hatte.Der historische Kontext ist authentisch, und die Pension Eva hat es wirklich gegeben.Die Begebenheiten, von denen ich erzähle, und die Namen derer, die sich dort begegnen, sind allerdings frei erfunden.A.C.Aus folgenden Werken wurde zitiert:Ludovico Ariost, Der rasende Roland, Winkler, München 1980.Marcel Proust, Im Schatten junger Mädchenblüte, aus: Werke, Suhrkamp, Frankfurt a.M.1995.Arthur Rimbaud, Sämtliche Dichtungen, Lambert Schneider, Heidelberg 1960
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