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.»Ja«, entgegnet Erika.Dann dreht sie sich brüsk um und geht mit leerem, hohlem Schritt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, die Schultern leicht gegen den Boden gebeugt, mit den Gedanken in Berlin, das die Russen stürmen, und fünf oder acht kommen auf sie zu, in braunen Uniformen, mit breiten, aufgedunsenen, gierigen Gesichtern.Drei Tage braucht Klaus zum Rückweg.Die Freude wechselt mit Angst.Und die Angst wird von der Mutlosigkeit abgelöst.Die letzten Schritte durch das kleine Dorf geht der frühere Hauptmann so schleppend, als hätte er Bleiklumpen an den Füßen.Er wagt nicht, sich umzusehen.Die Bauern kennen ihn alle.Sie sagen:»Grüß Gott, Herrn Steinbach.wieder im Lande?«Dann sehen sie verwundert dem fremden Kind nach.Der kleine Junge trippelt an der Hand seines Vaters.Er ist schon ganz zutraulich geworden, auch wenn er das Wunder noch nicht begreift.»Wohin gehen wir?« fragt er.»Nach Hause«, antwortet Klaus Steinbach.»Nicht nach Hause.« bettelt das Kind.Für den Jungen ist das Zuhause das Heim, und dorthin will er nicht zurück.314»Zur Mutti«, erwidert Klaus heiser.»Mutti?« Der Dreijährige schüttelt fragend den Kopf.So gehen sie auf das Haus zu.Klaus sieht Doris schon von weitem.Sie wendet ihm den gebeugten Rücken zu, während sie Unkraut im Garten jätet.Klaus möchte einfach auf sie zugehen und sie zärtlich in die Arme nehmen.Auf einmal spürt er nichts mehr von seiner Sorge.Er hebt das Kind in Höhe des Gartenzauns.»Ruf mal: Mutti!« raunt er seinem Kind ins Ohr.Langsam dreht sich Doris um.Sie erkennt Klaus, richtet sich auf.Die Hacke gleitet zu Boden.Ihr Gesicht belebt sich.Sie wischt sich mechanisch die Hände an der Schürze ab und kommt näher, sieht Klaus, ihren Mann, ernst an.Er nickt ihr zu.Er hält sein Kind an der Hand fest, das neugierig und etwas erschrocken die fremde Frau.die eigene Mutter betrachtet.»Bist du wieder da?« fragt Doris leise.»Ja«, antwortet Klaus, »und diesmal für immer.und nicht allein.«Die Augen von Doris streicheln das Kind.Automatisch entspannt sich ihr Gesicht.Sie will etwas fragen.Die Lippen zucken hilflos.So steht sie einen Moment hölzern da, während Klaus ohne weitere Einleitung sagt:»Sieh’ ihn dir einmal ganz genau an.«Der Blick von Doris gleitet ab, saugt sich an dem Jungen fest.Ihr Mund öffnet sich halb.Nie wird Klaus diese erste Sekunde des Erkennens vergessen.Und immer wird er wissen, wie schön es war, dafür gelebt und gekämpft zu haben.»Nein«, sagt Doris wie benommen.Der Schock ist so großwie die Freude, der Zweifel so stark wie die Ahnung.Sie stützt sich schwer am Zaun fest.»Klaus«, sagt sie leise, »bitte.das gibt es nicht.das.«»Doch«, antwortet er ruhig, »das ist wirklich dein Kind.unser Kind.nicht wahr, Klaus?«»Ja«, erwidert der Dreijährige ernst und folgsam.Da geht Doris auf ihn zu, zieht ihn an sich.Der Kleine will zurückweichen.Dann lacht er, schlingt die dünnen Arme um die erste, einzige Mutter seines bescheidenen Lebens.So zieht ihn Doris ins Haus.Als Klaus Steinbach langsam und nachdenklich die Diele betritt, stehen dort seine beiden kleinen Buben nebeneinander.Doris kniet zwischen ihnen.»Siehst du, Klaus«, sagt sie lachend wie weinend, »das ist dein Brüderchen.«Sie sagt es zum einen wie zum anderen.Sie heißen ja beide Klaus.Der Schock löst sich in Tränen auf.Sie laufen der jungen Frau über das Gesicht.Sie steht auf, lehnt sich gegen ihren Mann.»Wie kam.Was ist.«, fragt sie betroffen.»Später.«, entgegnet er.Doris sieht ihn ängstlich an.»Es bleiben beide unsere Kinder?«»Beide«, erwidert Klaus fest, fast feierlich.»Und du willst das wirklich?«»Ich wollte nie etwas anderes«, antwortet Klaus, nun echter Heimkehrer aus dem Krieg, friedlich und befriedet, glücklich und beglückt, weich und gelöst, hart geworden und weich geblieben.»Aber ich konnte es dir nicht sagen, ohne dich unglücklich zu machen.und deshalb hast du mich nicht verstanden.«»Mein Gott«, erwidert Doris.Und in dieser Sekunde begreift sie alles, die Last, die er trug, das Opfer, das er brachte, die Verzweiflung der letzten Jahre, die Lüge der Menschlichkeit, die ihn so unmenschlich quälen 316mußte.Und so steht sie beinahe ergriffen vor ihm, liebt ihn wie nie zuvor, legt ihre Arme um ihn, drückt sich gegen ihn.Es ist die erste, echte Umarmung seit dem Ende des Krieges.•Westroff-Meyer trug nicht das Antlitz eines Menschen, sondern die Fratze des Teufels.Er trommelte mit den Fäusten gegen die graugetünchten Wände.Aber die Mauern hielten so dicht, wie die Beweise vor Gericht.Er riß sich die Kleider in Fetzen.Sein Atem rasselte stechend durch die Lungen.Er brüllte, schrie, tobte.Er weinte.Er lachte.Er bereute und er tötete in der nächsten Minute wieder.Er bat die Menschen, die er haßte, um Gnade.Er bot ihnen alles, außer dem Leben.Das Mitleid mit sich selbst raste durch seinen Körper.In diesen Stunden wollte er Tote lebendig machen.Aber sie waren vermodert.In Polen.Frauen, Kinder, Männer.vergast, erstochen, zertrampelt, erschossen, verscharrt, vernichtet, liquidiert.Ihr letzter Blick, ihr letzter Fluch, ihr letztes Gebet hatten sich zu erfüllen.An dem früheren SS-Obersturmbannführer Westroff-Meyer, dessen Uhr abgelaufen war.In sieben Stunden.Die äußerste Strafe war mild genug: ein einziger Tod für das Leiden in Polen, für die Gehängten an den Bäumen, für den Verrat an den Kameraden, für jede Art von Gemeinheit, Verbrechen und Perversion.Das Urteil war gesprochen.Das Gnadengesuch verworfen.Der Henker bestellt.Der Sarg geöffnet.Aus dem aufgeworfenen Grab griff die Schuld mit Knochenarmen nach ihm, nach seinem Hals, nach seinen Haaren, nach seinem Atem, nach seinem Herzen.Er stand und horchte.Er stöhnte und röchelte.Der Priester kam.»Wollen Sie Ihr Gewissen erleichtern?«»Nein!« brüllte Westroff-Meyer.Dann holte er den Mann im schwarzen Rock zurück.»Ja«, sagte er, »ich habe.«, begann er, »ich bin ein.ich bitte um.ich wollte doch nicht.« Dann fuhr er hoch.»Nein!« brüllte er, »ihr bringt mich nicht um! Ich bin unschuldig! Ich habe nichts getan! Laßt mich leben!«Der Henker hatte Zeit.Fünf Stunden noch.Die Zelle drehte sich wie ein Kreisel.Der Strick zerrte am Hals.Er würgte und drückte.Westroff-Meyer hörte den Ruck.Er sah den leeren Sarg, das Grab, die Erde.Er heulte.Er warf den Schemel gegen die Wand.Am Guckloch erschienen die Augen des Postens.Augen ohne Mitleid.Mitleid wäre in die Gosse geschüttet, Erbarmen tödlich.Wer Blut vergießt, des Blut soll vergossen werden.Wer Gott aufs Herz tritt, hat ohne Gott zu sterben.Westroff-Meyer kauerte wieder stumpf auf seinem Hocker.Er saß in diesen Minuten, die die letzten seines Lebens waren und sich dehnten wie Gummiseile, wieder auf der Anklagebank von Nürnberg.Er kämpfte, leugnete, denunzierte.Er versuchte, die anderen in den Strudel hineinzuziehen, um aus dem fauligbraunen Tümpel herauszukommen.Er wollte die in Blut gebadete Hand zum Meineid heben.Er bat und wimmerte.Nur die Schuld ist so würdelos und feige.Und rings um den Angeklagten wob sich die Verachtung zu einem Leichentuch.Die Gerechtigkeit war nicht so uniformiert wie die Richter.Sie wußten zu unterscheiden.Der biedere Standartenführer aus der Verwaltungszentrale des Lebensborns in München wurde freigesprochen.Westroff-Meyer, der blutige Herodes von Polen, hatte zum Galgen zu marschieren.Mit eigener Kraft oder mit fremder, einsichtig oder verstockt, versöhnt oder mit Haß auf den Lippen, dessen Gefolgsmann er war.Der Strick stellt keine Fragen.Schritte
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