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.Charlotte erschrak über sich selbst.Sie war zu weit gegangen.Dass ihr kurz darauf wieder speiübel wurde und sie sich erneut übergeben musste, führte sie deshalb auf ihre Lasterhaftigkeit zurück.Denn Pasteten hatte sie, seit sie aufgestanden war, noch nicht angerührt.Es kam noch schlimmer.Am darauf folgenden Tag wachte sie schon mit einem flauen Gefühl auf.Wohlweislich hatte sie ihren Nachttopf in die Nähe gestellt.Zittrig und elend kroch sie anschließend auf Knien zurück in ihr Bett, stellte, als sie lag, fest, dass die Stuckdecke über ihr sich wie zu einem langsamen Tanz zu drehen begann und schließlich schräg die Wand herunterrutschte.Während ihr Reifrock und die Kommode die andere Wand hinaufwanderten.Es wurde nicht unbedingt besser, wenn sie die Augen zumachte.Auch so kreisten gleißende rote Punkte.Die Wände ihres Magens zogen sich ruckartig zusammen, aber es war kein Inhalt mehr vorhanden, den sie nach oben hätten pressen können.Wenn sie starb, so schoss es Charlotte durch den Kopf, würde es Tage dauern, bis man sie fand.Keinem Mensch würde auffallen, dass sie nicht mehr in der Fensternische saß und las.Eine wohlige Woge von Selbstmitleid überspülte und versüßte den ekeligen Geschmack in ihrem Mund und ihrer Kehle.Zu ihrem eigenen Erstaunen arbeitete unter dem Strom der ganzen Malaise ihr Verstand weiter.Zumindest zwei, drei Rädchen des schönen Maschinenwerkes, das ihr Monsieur La Mettrie zubilligte.Über diese Räder ratterten in einer Endlosschleife Sätze, die sie die vergangenen Tage gelesen hatte.Sätze, so fein und gründlich genäht wie die Muster in Sarahs blauer Decke.Unverwüstlich, einprägsam.Nur was Natur ist gilt, lautete der eine.Ein anderer bestand aus drei Wörtern, deren schwarz gedruckte Buchstaben von Zeit zu Zeit über die Innenseite von Charlottes Lidern spazierten, so als ob sie sie mit einem Pedal elektrisiert und in Bewegung gesetzt hätte: Tatsache, Ursache, Wirkung.Das Vaterunser ihrer Zeit, das Charlotte auch schon vor La Mettrie, wenngleich nicht so überzeugt, gebetet hatte.An der Tatsache als solcher zweifelte sie kaum mehr.Die Ursache leuchtete ihr ein.Nur die Wirkung in ihrer ganzen Breite konnte sich Charlotte beim besten Willen nicht ausmalen.Zumindest die unbarmherzige Wirkung der Sätze La Mettries ließ aber mit der Zeit nach, sodass Charlotte erschöpft eindöste und für den Rest des Vormittags wie ein Stein schlief.Als sie aufwachte, fühlte sie sich deutlich besser.Trotzdem beschloss sie zur Sicherheit, Lisbeth zurate zu ziehen.»Wie lange schon?«Mit ehrlichem Bemühen biss sich Charlotte auf die Unterlippe, dachte nach und zählte sogar.Aber alles, was ihr einfiel, war dann doch nur:»Ziemlich lange schon.«»Na dann.Kann jeder Mal passieren.«Verlegen zog Lisbeth die Mundwinkel nach unten und dachte aber bei sich, dass es nur gerecht sei, wenn es auch die feinen Damen erwischte.Charlotte dagegen klammerte sich an den einzigen Mann, der ihr im Moment nahe war, und beschloss, ihm zu folgen und keine Gewissensbisse oder sonstige moralische Attitüden zuzulassen.Trotzdem brütete sie noch bis zum Samstag dieser vierten Märzwoche meist im Bett vor sich hin und wog gründlich die Optionen ab.Felix war zweifelsohne so weit unter ihrem Stand und ihren finanziellen Bedürfnissen, und eine Heirat würde solch einen Skandal provozieren, dass sie ihre Mutter genauso gut erwürgen könnte.Mit dem storchenbeinigen sächsischen Grafen ließe es sich dagegen nur im Zustand dauerhafter Betrunkenheit aushalten.Abgesehen davon, das musste sie sich ehrlicherweise zugestehen, dass er sich wahrscheinlich gar nicht dazu herabließ.Eine Heirat mit ihr passte nicht in sein Geschäftskonzept.So gesehen, war ein Stift für evangelische Fräulein, das Auffangbecken für alle gescheiterten weiblichen Existenzen ihres Standes, noch die bessere Wahl.Ob man ihr dort den Einsatz der Elektrisiermaschine erlauben würde, bezweifelte sie allerdings.Dann fiel ihr ein, dass die Stiftsdamen grauenhafte Kleider tragen mussten, die denen Sarahs vom Schnitt her ähnelten.Ihre Aussichten waren unterm Strich also katastrophal.Langsam kauend aß Charlotte eine frische Blutwurst, löschte die etwas zu salzige Würze mit leicht moussierendem Grauburgunder, schlang, als sie alles aufgegessen hatte, beide Arme um die Knie und weinte so lange vor sich hin, bis die Weinflasche leer war und sie heftigen Appetit auf Leberwürste bekam.Schließlich war Schlachttag.Und sie hatte schon seit dem Morgen Schweine schreien und die Knechte mit schweren Schritten Bottiche vom Stall über den Hof in die Küche tragen hören.Am Sonntagnachmittag löste sich der Nebel urplötzlich auf, und das Schiefergrau des Bolandener Kirchturms schimmerte feucht herüber.Er habe es ja gesagt, es sei ein Zeichen gewesen, blaffte Josef und verschüttete beim Servieren absichtlich die Ochsenschwanzsuppe.Zu Martini hatte Hochstettler bereits die gesamte Pacht für das laufende Jahr bei Herrn von Geispitzheim abgeliefert.Auch gegenüber den Armen seiner Gemeinde war er großzügig gewesen.Das also konnte er als abgehakt betrachten.Große Schwierigkeiten bereitete es ihm dagegen, etwas über die Rheinschiffe in Erfahrung zu bringen.Zumal er aus Furcht, der Älteste würde sofort vorbeikommen und ihm den Arm um die Schultern zwingen, keinen seiner Brüder zu fragen wagte.Ebenso heimlich wie Adam Krehbühl konsultierte er deshalb Abraham Grünstein.Regen sprühte aus einem niedrigen Himmel und spülte Abfallreste und Kot die Straßen hinunter, als er an dem stattlichen Haus in Kirchheim anklopfte.Dass die Fenster spiegelblank geputzt waren, flößte ihm Vertrauen ein.Überhaupt waren die Gemeinsamkeiten unübersehbar.Wie die Täufer besaßen auch die Juden kein Bürgerrecht in der Pfalz, mehrten aber den Wohlstand des Landes.Die Grünsteins handelten in dritter Generation erfolgreich mit Geld und Informationen, denn ein dichtes Netz verband sie mit Geschäftspartnern in ganz Europa.Billig war der Service nicht.Aber Abraham Grünstein kannte sich aus, er nannte auf der Stelle Orte und Namen und würde Passagen und Quartiere bis und in Rotterdam buchen.Samuel beschloss, ihm zu vertrauen.Nicht zuletzt weil auch der Jude einen Bart trug
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